„Es ist höchste Zeit, diesen Dialog zu führen“

© Asma Aiad

Wie kann es gelingen, ein gerechteres politisches System aufzubauen, Rassismus aus dem Bildungswesen zu drängen und das Gefühl von Sicherheit bei allen Bürger:innen zu stärken? Das österreichische Volksbegehren Black Voices hat Lösungsansätze. Welche das sind, erklärt Asma Aiad, Sprecherin der Initiative, im Interview.

Interview: Hanna Begić

Frau Aiad, wie und wann ist die Idee zum Volksbegehren Black Voices entstanden? Und was soll damit erreicht werden?

Im Zuge der Wiener Black-Lives-Matter-Demonstration im Juni 2020 haben wir bemerkt, dass die Themen Rassismus und Diskriminierung sehr viele Menschen beschäftigen – mit 50.000 Teilnehmer:innen handelte es sich immerhin um die drittgrößte Demonstration in Österreich in den letzten 20 Jahren. So viele Menschen wurden neu für das Thema Rassismus sensibilisiert, und wir wussten, dass wir es nicht bei dieser einen Demo belassen konnten. Wir haben einen weiteren Schritt gewagt und dieses Volksbegehren in die Wege geleitet. Damit wollen wir antirassistische Anliegen in den Nationalrat bringen, um BIPOC (eine Abkürzung für Black, Indigenous and People of Color, Anm. der Red.) zu unterstützen und vor rassistischen Erfahrungen zu schützen.

Warum braucht es ein solches Volksbegehren in Österreich?

Große Teile der österreichischen Gesellschaft würden Rassismus nicht einmal als Problem benennen, weil sie selbst ja nie derartige Erfahrungen machen mussten. Wir, also die Initiator:innen des Volksbegehrens, haben aber allerlei Arten von Rassismus erlebt: ob im Alltag, am Arbeitsplatz oder in unterschiedlichen Institutionen des Landes. Genau diese Erfahrungsdiskrepanz treibt uns an, das Thema bundesweit auf die politische Ebene zu heben. Wir haben einen Aktionsplan entwickelt, der bestimmte Themen aufgreift, die dann im Nationalrat besprochen werden sollen. Es ist höchste Zeit, diesen Dialog zu führen. Es geht darum, dass die Politik nicht schon wieder nur über BIPOC, Menschen mit Migrationsbiografien oder Geflüchtete spricht, sondern dass wir als Betroffene zu den jeweiligen Themen Forderungen aufstellen.

© Asma Aiad
© Asma Aiad

Das klingt wie eine sehr staatstragende Antwort.

Allein die Tatsache, dass ein solches Volksbegehren ins Leben gerufen werden musste, zeugt doch davon, dass sehr vieles schiefläuft – vom strukturellen Rassismus bis hin zur Polizeigewalt. Es wird immer so getan, als würde es diese nur in den USA geben, dabei ist sie auch hierzulande präsent. Das Thema Polizei ist ein unheimlich wichtiges, man denke da nur an Racial Profiling, Gewalt gegen BIPOC und Geflüchtete oder gewaltsame Auflösungen von friedlichen Kundgebungen. Aber das ist leider nicht der einzige Bereich, der unbedingt verbessert gehört. Wir haben eine sehr sanierungsbedürftige Asylpolitik.

Sie haben sich hohe Ziele gesteckt. Die Unterstützung der Wiener SPÖ-Gemeinderätin Mireille Ngosso und der Grünen Nationalratsabgeordneten Faika El-Nagashi haben Sie bereits. Gibt es auch Personen oder Organisationen außerhalb der Politik, mit denen Sie zusammenarbeiten?

Wir kooperieren bereits u.a. mit dem Frauengesundheitszentrum Graz, der Afrikanischen Diaspora Österreich (ADOE), dem Menschenrechtsverein SOS Mitmensch oder auch der Dokumentations- und Beratungsstelle Islamfeindlichkeit und antimuslimischer Rassismus.

Wie sieht der Support seitens der Muslim:innen aus?

Ein integraler Bestandteil des Volksbegehrens ist die Thematisierung des antimuslimischen Rassismus, und zwar nicht nur jenes, den man im Alltag antrifft, wenn Kopftuchträgerinnen angegriffen werden, sondern auch des systematischen, der leider massiv ist. Wir hatten schon einige Treffen mit muslimischen Studierendenvertretungen, der Muslimischen Jugend Österreich (MJÖ) und Frauenorganisationen wie den Jungen Musliminnen Österreich (JMÖ). Wir nehmen auch aktiv Kontakt mit diversen Communitys auf, um über unsere Initiative aufzuklären. Bis jetzt wurden wir und unser Anliegen sehr herzlich begrüßt, jedoch erhoffen wir uns in nächster Zeit noch mehr Support. Zum Beispiel bei der Mobilisierung und beim Sammeln der Unterschriften. Auch Shares in den sozialen Medien sind willkommen. Wir haben auch eine Crowdfunding-Kampagne und erhoffen uns finanziellen Support von den unterschiedlichen Gemeinschaften.

Wie sieht der Fahrplan aus?

Wir haben das Volksbegehren am 31. August 2020 registriert. Jetzt hoffen wir, dass es uns gelingt, bis Anfang 2022 die notwendigen 100.000 Unterschriften zu sammeln. So viele braucht es, damit das Volksbegehren verpflichtend im Nationalrat behandelt wird. Danach geht es darum, die Forderungen in die Realität umzusetzen. Ende Jänner hatten wir die erste Eintragungswoche und haben da schon über 10.000 Stimmen gesammelt.

Eine der Forderungen des Volksbegehrens ist die Knüpfung des Wahlrechts an den Hauptwohnsitz statt an die Staatsbürgerschaft. Warum ist Ihnen das wichtig?

Damit wollen wir erreichen, dass mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, wählen zu gehen, gewählt zu werden und politisch repräsentiert zu werden. In Wien ist rund ein Drittel der erwachsenen Bevölkerung von Wahlen ausgeschlossen und bleibt dadurch in der politischen Öffentlichkeit unsichtbar. Unser Bestreben ist es, eine inklusivere Gesellschaft zu schaffen, wo sich alle gehört und gesehen fühlen. Damit schafft man das Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit. Damit wiederum würde eine höhere politische Partizipation einhergehen – am Ende gewinnen alle Beteiligten.

Das Volksbegehren will aber nicht nur die Politik verändern, sondern auch das Bildungswesen. Klingt wie eine Sisyphusaufgabe.

Unser Bildungssystem in Österreich reproduziert noch immer sehr viel Rassismus. Im Schulunterricht wird die Geschichte Österreichs oder Europas zwar gelehrt, aber nicht wirklich reflektiert. Die Geschichte des Kolonialismus findet im Lehrplan kaum Erwähnung, eine postkolonialistische Perspektive kommt so gut wie nicht vor. Große Teile der Weltgeschichte werden komplett ignoriert, Bildungslücken entstehen. Was ist die Folge davon? Wir hören immer wieder von der Verwendung des N-Worts durch Lehrer:innen im Unterricht oder von Schulbüchern, die Stereotype über Muslim:innen beinhalten. Es ist entscheidend, dass die Themen Rassismus und Antirassismus Platz im Klassenraum bekommen. Die Lehrkräfte müssen dafür ausgebildet werden, neue Lehrkonzepte entwickelt und neue Unterrichtspläne erstellt werden. Was hier noch ganz fehlt, ist außerdem eine starke Einbindung von BIPOC.

Es gibt keine Patentlösung für das Problem Rassismus. Aber es gibt viele unterschiedliche Modelle, die man in Betracht ziehen kann. Der fächerübergreifende Unterricht hat in den letzten Jahren viele komplexe Inhalte erfolgreich in die Klassen gebracht, und das wäre sicher eine wünschenswerte Methode. Ein gutes Beispiel ist die Kombination der Unterrichtsfächer Geschichte und Mathematik. Die Lehre von den Zahlen ist eine der ältesten Wissenschaften der Welt, sie begleitet uns auf Schritt und Tritt. Ihren Ursprung hat sie aber nicht im Westen, sondern in Mesopotamien, China und Indien. Solche fächerübergreifenden Erkenntnisse bringen Menschen von klein auf dazu, andere Kulturen oder das bisher „Fremde“ zu schätzen.

Asma Aiad ist Künstlerin, Jugendarbeiterin, Aktivistin und Sprecherin des Volksbegehrens Black Voices. Sie beschäftigt sich mit Antirassismus, Feminismus und der Dekonstruktion von Stereotypen.

Foto: Diva Shukoor

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