Spuren jener, die es nicht geschafft haben

Eine neue Ausstellung im Srebrenica Memorial Center lässt Überlebende des Genozids zu Wort kommen. Es geht nicht zuletzt darum, dem unerträglichen Revisionismus Fakten entgegenzuhalten.

Text: Dennis Miskić Fotos: Ahmedin Đozić

„Man sieht hier Menschen aus Srebrenica. Gute Menschen. Es war eine ganz besondere Mischung hier, wo nie jemand nach seinem Namen gefragt wurde. Weil es einfach egal war, welcher Nationalität oder Religion man angehört.“ So erzählt Damir Škaler, ein Überlebender des Genozids in Srebrenica, in einem Video-Interview. Seine Aussagen sind Teil der neuen Ausstellung „Leben hinter dem Feld des Todes“ (im Original „Životi iza polja smrti“), die am 22. Februar 2022 im Srebrenica Memorial Center eröffnet wurde.

Insgesamt werden rund 100 Interviews mit Überlebenden gezeigt. Viele davon dauern mehrere Stunden. Sie beleuchten die verschiedensten Aspekte des Lebens vor, während und nach dem Krieg, einschließlich der post-traumatischen Folgen für die Überlebenden. Auch persönliche Gegenstände von Opfern sind ausgestellt, die meisten davon wurden von Familienangehörigen gespendet. Die Gegenstände stellen für viele Familien das wichtigste Andenken an ihre verstorbenen Liebsten dar, es sind unbezahlbare Stücke. Die Entscheidung, sich von ihnen zu trennen und sie der Gedenkstätte zu spenden, fiel den Familien alles andere als leicht, sie sehen es jedoch als ihren Beitrag, an den Genozid zu erinnern. „Ich habe die Tabakschachtel meines ermordeten Mannes dem Museum geschenkt“, erzählt Izeta Alihodžić in ihrem zweistündigen Interview. „Meine Enkelkinder und deren Kinder können dann immer hierher kommen und sich an ihren Großvater erinnern.“ Nicht alle Passagen und Interviews sind von solcher Wärme. Die Überlebenden erzählen auch von Gräueltaten und Kriegsverbrechen, es sind Aussagen darunter, die einem den Schauer über den Rücken laufen lassen.

Die Interviews sind wertvolles Quellenmaterial im Bereich der Bildungsarbeit und der wissenschaftlichen Recherche. Sie geben auch den Opfern eine Stimme. Was für viele die Erinnerung an den schlimmsten Abschnitt ihres Lebens ist, wird in Zeiten von heftigem Geschichtsrevisionismus immens wichtig. Denn der Genozid wird von weiten Teilen der Bevölkerung und der politischen Szene in Serbien und der Republika Srpska immer noch geleugnet.

Zur Erinnerung: Der Völkermord in Srebrenica war das schlimmste Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. In der ostbosnischen Kleinstadt wurden im Juli 1995 innerhalb von fünf Tagen über 8.372 Männer und Buben, Frauen und Mädchen ermordet, weil sie einen muslimischen Namen trugen. Als Gedenktag hat man den 11. Juli gewählt, jenen Tag im Jahre 1995, an dem die bosnisch-serbische Armee unter Ratko Mladić die Stadt eingenommen hat. Das Srebrenica Memorial Center wurde 2003 eröffnet. Es organisiert Veranstaltungen, kuratiert Ausstellungen und Bildungsinitiativen. Und hier ist auch der Ort, an dem die noch immer laufend ausgegrabenen Überreste der Ermordeten – manchmal sind es nur einzelne Knochen – jedes Jahr am Gedenktag zur Ruhe gelegt werden.

Die persönlichen Gegenstände der vielen Opfer, die in der Gedenkstätte ausgestellt werden, spielen eine Schlüsselrolle bei der Aufklärung und im Kampf gegen die Genozidleugnung. Durch sie wird das Leid der Menschen im Krieg greifbar und spürbar. Es sind die Spuren jener, die es nicht geschafft haben. Diese Spuren werden für immer ein Andenken sein. Wer nicht nach Srebrenica fahren kann, hat die Möglichkeit, Ausschnitte der Ausstellung auf der Website der Gedenkstätte anzusehen.

Dennis Miskić leistet 2021/22 seinen Zivildienst im Srebrenica Memorial Center und hat die neue Ausstellung mitorganisiert.

zivotiizapoljasmrti.detektor.ba

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